Zum Black History Month hat mich die Missy angefragt einen Text über mein Schwarzes Role Model zu schreiben,. Meinen Text gibt’s nun hier direkt auf dem Blog, die anderen 5 Artikel findet ihr auf der Missy Magazine Seite.
Nina Simone
Zum #blackhistorymonth habe ich überlegt, welche Person und welche Worte mich am meisten inspirieren, stärken und empowern. Es gibt so viele gute Zitate, aber keines fühlte sich gerade richtig an, um davon zu berichten. Bis zum Berlinale Screening von Nina Simone’s Biographie „What happend, Miss Simone?“. Ich entschied mich für folgende Worte:
“Why am I alive anyway?”
Ain’t Got No, I Got Life – Nina Simone
(veröffenlicht 1968)
Eingequetscht in die eher passgenauen Sitze im Kino International schaue ich vorsichtig nach links. Dort sitzt Lisa Simone, Nina Simones Tochter. Ein bisschen aufregend ist es schon, neben ihr die Biographie zu sehen. Wir beide singen still mit, tauschen Blicke aus.
Schrift läuft über den Bildschirm aus Tagebucheinträgen:
Ich bin depressiv
Ich will tot sein
Ich will mir das Leben nehmen
Nina, das kenn ich.
Auf einmal geht es Schlag auf Schlag, es wird berichtet, wie Nina Simone diagnostiziert wurde, als bipolar. Sie bekam als eine der Ersten ein Medikament, das extra für Bipolare erstellt wurde: Ein ziemlicher Hammer, der nach wenigen Jahren zu verschiedensten körperlichen Einschränkungen führen konnte. Verlust der motorischen Fähigkeiten zum Beispiel. Gerade für eine Pianistin nicht das Beste.
Und ab dem Moment warte ich darauf, es zu erfahren. Bipolare mit so frühen Selbstmordgedanken schaffen es oft maximal zum 30. bis 40. Lebensjahr. Das Bild, das ich immer wieder sehe, die Geschichte, die ich immer wieder höre, klingen wie ein Todesdatum in mir wider. Wann würde der Satz im Film kommen „und dies sollte der Tag sein, an dem Nina ihr Leben beendete“?
Mit drei, vier Jahren habe ich das erste Mal aufgegeben Leben zu wollen. Es ist etwas zutiefst Verwurzeltes in mir. Mein Vater wollte nicht in diesem kalten, weißen Land leben – meine Mutter sehnte sich nach ihren Freundinnen und nahm mich kurzer Hand mit nach Deutschland… und ich vermisste.
Sosehr, dass ich aufhörte sein zu wollen. Zuerst stellte ich das Sprechen ein, dann das Essen, zuletzt auch das Trinken.
Eine Sonde half zwar mich am Leben zu halten, aber die Ärzte machten meiner Mutter klar, dass ein so junges Kind, das unter so schwerem Kummer leidet, durchaus trotz ärztlicher Aufsicht sterben kann. Also kam mein Vater nach Deutschland, er ist bis heute hier.
Ich war mir also schon sehr, sehr früh darüber bewusst, dass es eine weitere Lösungsmöglichkeit gibt. Wenn andere Menschen für ein Problem zwei Lösungen sehen, sehe ich drei. Nicht drei gute, sinnvolle Lösungen, sondern eine, die ich verstecken, kaschieren und ignorieren muss. Die dritte ist gesellschaftlich verpönt, ungewollt und schamvoll. Sosehr, dass darüber nicht gesprochen werden darf. Die, die Selbstmordgedanken als Lösung sehen, müssen sich dafür schämen, dürfen es nicht sagen, müssen es schweigend bekämpfen.
Nur Menschen, die zu weich sind, denken an Selbstmord. Nur Egoisten sind sich dessen bewusst, dass Tod auch immer eine Variante des Entkommens ist.
Nina Simone lebte 70 Jahre lang, sie vollbrachte Großes, erlitt Schreckliches und tat Furchtbares. Aber sie überlebte. Sie überlebte 70 Jahre lang, davon mindestens 50 Jahre mit wiederkehrenden Selbstmordgedanken. Das bedeutet, sie hat 50 Jahre lang die Fluchttür mit der Aufschrift „Suizid“ verschlossen, der Verlockung widerstanden und sich für die anderen Wege endschieden. Sie ist sicher kein Role Model in allen Belangen, aber in vielen. Ihre Kraft, als Schwarze Pianistin zu kämpfen, um sein zu dürfen, um in den weißesten Orten zu spielen. Ihre Kraft, der geliebten und existenzsichernden Karriere als klassische Pianistin den Rücken zu kehren und stattdessen der Schwarzen Bewegung die Worte zu geben, die noch immer in unseren Herzen Kraft und Zorn spenden. Auch ihr Humor, ihre radikale Akzeptanz ihres Körpers in einer so rassistischen und körperfeindlichen Gesellschaft, ihre Worte und ihr Leben mit der Bipolarität inspirieren, stärken und empowern mich im Heute.
Sie hat einmal zu Martin Luther King jr. gesagt, dass sie nicht gewaltfrei für die Rechte der Schwarzen kämpft. In einem Interview spricht sie davon, wie sehr sie sich danach sehnte auf den Straßen mit Fäusten für die Schwarze Bewegung zu kämpfen, und wie ihr klar wurde, dass sie mit ihren Worten dies umso gewaltvoller kann.
Sie hat alles aufgegeben, verloren, gewonnen, wieder und wieder – und doch die Tür immer ignoriert. Der Film endet mit ihrem Tod, aber ohne Erklärung wie sie starb. Später erfahre ich, sie ist nach 70 Jahren an Krebs gestorben. Und Nina beeindruckt mich erneut, denn das ist ein Ende das Schwarze, bipolare Biographien zu selten haben. Klar, Sterben ist immer irgendwann angesagt, aber sie hat die Tür immer ignoriert und bewältigt.
Danke Nina, dass du in deinen Büchern geschrieben hast, was deine Gedanken waren. Danke, dass du von einem Leben mit Suizidgedanken erzählt hast. Danke, dass du als eine so starke Schwarze Aktivistin eine weitere Nuance preisgegeben hast, die heute Schwarze bipolare Menschen stärken kann.
Die Worte in deinen Liedern stärken mich sehr, aber am meisten stärkt mich, dass du in Worte verpackt hast, was nicht gesagt werden darf. Du hast deine Stimme auch genutzt um zu benennen, was du fühlst, dass es für dich diese Tür gibt, sie immer am Rande deiner Wahrnehmung ist und jede Krise im Leben zusätzlich abverlangte, diese Tür verschlossen zu halten.
Danke, dass du über das geschrieben hast, über das kaum einer spricht.
Ich nehme mir ein Beispiel an dir, und werde diesen Text veröffentlichen. Es macht Angst – aber die hat dich ja auch nie von etwas abgehalten!
7 Antworten zu „Nina Simone, Suizid und der Black History Month“
großartiger Text Mut ohne Ende einfach großartig.
Freut mich sehr, dass er dir gefällt. Ja, ich habe lange mit mir gekämpft ob-und wenn wie ich zu diesem Thema bloggen soll. Jetzt is es passiert-ich bin ängstlich und gespannt, was die Konsequenzen sein werden!
Toller Artikel! Er ist einerseits erschütternd deutlich, andrerseits aber doch ermutigend! Danke!
Es freut mich, dass ich somit diese Art von Ermutigung die ich empfunden habe ein Stück weit weitergeben konnte! Schwarze Geschichte hat noch soviel für uns, dass wir in den meisten Erzählungen nicht erfahren!
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Vielen Dank für Deinen offenen Text. Und ich bewundere Deinen Mut. Und mit Nina Simones wunderbarer Kraft im Rücken kommt manchmal auch ein Sonnenstrahl durch ;o)
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