Er ist ganz oft Thema in meinen Workshops: der Spiegel-Moment. Da stehst du, mit all deinem dekolonialisertem, dekonstruierten, feministischen Wissen und redest dich selber heimlich schlecht. Ich spreche dann immer laut andere Sätze aus als das was ich denke, das ist am Anfang schmerzhaft und komisch aber tut gut und ändert nach und nach mein Denken über Situationen und mich.
Ich werde nun nach und nach eine Reihe posten wo es um meine ganz individuelle Praxis geht mich zu empowern durch Dekolonialisierung.
Dekolonialisierung als Praxis meint für mich: die Gefühle, Gedanken, Normen, Vorstellungen, Bewegungen etc. die koloniale Ansätze, Praxen und Ideen reproduzieren zu dekonstruieren und durch Anderes, Neues und Verschiedenes zu ersetzen.
Dank vieler kluger Geschwister, Bücher, Workshops habe ich für mich ein immer breiteres Arsenal an Dingen. Anderes Wissen zu erlangen um das koloniale Wissen in Frage zu stellen ist ein wichtiger Punkt. Realitätsabgleich mit Geschwistern auch. Körperarbeit ebenso, aber es gibt einen Punkt der bei mir einen sehr großen Stellenwert hat und sehr in mit all den anderen Dingen sehr verbunden ist: Sätze zu ändern die ich sage, die ich denke und Sätze anders zu begreifen die andere sagen.
Ich werde hier nun ein paar der typischen Sätze aus meinem mehrfachschubladisierten Alltag teilen, ich würde mich sehr über eure Ergänzungen freuen und hoffe das wir so viel sammeln können.
Hier nun meine triggernde, empowernde Satzsammlung:
„Wenn ich nicht so fett wäre, wäre alles einfacher“ → „Wenn die Gesellschaft weniger körperfeindlich wäre, würde ich weniger Unterdrückung erfahren, der Schmerz den ich erfahre liegt nicht in mir begründet“
„Ich hätte meine Haare zusammenbinden sollen“ → „Das im 21. Jahrhundert die einzige Möglichkeit des Eigenschutzes ist meine Haare zu kaschieren ist eine koloniale Kontinuität (immerhin wurden uns die Haare geschoren vor der Verschleppung) und es ist klar das beides schmerzt: das angefasst werden wie das verstecken. Wenn ich mich gegen das verstecken entscheide und Verletzungen erfahre ist es nicht meine Schuld, sondern im rassistischen System begründet“
„Meine Oberarme sind zu schwabbelig um sie zu zeigen“ → „die Gesellschaft in der ich lebe ist zu scheiße um mir Selbstliebe beizubringen“
„Ich fühle mich unwohl in meinem Körper“ → „Heute habe ich nicht die Kraft gegen den Druck der Außenwelt anzukommen. Das ist auch okay und erlaubt, ich werde das Gefühl durchstehen und mich wieder aufrappeln, ich habe tools und Wissen um diese Verletzungen wieder zu heilen. Weisse Schönheitsideale sind wirkmächtig, es hinterlässt Spuren. Das ist nicht meine Schuld.“
„Ich bin zu dumm dafür“ → „Wenn Wissen nicht so gestaltet wird das jede*r es sich aneignen kann ist es eine ableitische Lehrmethode. Schade, dass das noch immer Phase ist“
„Ich hätte nicht so oder so oder so auf Rassismus reagieren sollen“ → „Rassismus hast du dir 1. nicht ausgesucht als Teil deines Lebens und 2. weiß niemensch was der springende Punkt sein wird um Rassismus zu beenden, bis zu dem Zeitpunkt kann also niemensch unter Garantie sagen was richtig und falsch ist. 400 Jahre lang haben deine Geschwister verschiedene Methodiken getestet, du darfst das auch.“
„Wegen meiner blöden Bipolarität komme ich nicht voran “ → „Wenn ein System so engmaschig ableistisch ist das selbst eine so gut ausbeutbare Sache wie Bipolarität zu Problemen führt, ist es ein Mistsystem. Das du in diesem Mistsystem nicht funktionierst zeigt das es in deinem Leben mehr gibt“
„ich habe zuviel Raum eingenommen im Seminar/ Meine Positionierung hat zuviel Raum eingenommen“ → „du bist eine neurodiverse Schwarze fette Latin@ an der weißesten Uni. Selbst wenn du 90 Minuten Bilder von dir gezeigt hättest wäre es nicht zu viel Raumeinnahme“
„du hättest diesdasjenes Wissen müssen um intervenieren zu können“ → „Du hast keinen Lehrauftrag, du kämpfst dort ums Überleben. Es ist absurd das dafür es nötig ist das zu wissen das du eigentlich dort lernen willst.“
„Das war zu viel attitude, zu divenhaft. So nimmt dich keiner ernst.“ → „wer undudehafte Performence nicht ernst nimmt, würde dich auch im Blaumann mit tiefer Stimme nicht ernstnehmen. Also genieß es du selbst zu sein und sehe nicht darin begründet den Sexismus, Sexismus ist wirkmächtiger wie dein Glitzernagellack. Glitzernagellack ist nicht schuld am Sexismus. Sexisten sind schuld am Sexismus.“
„ich hätte einfach nichts sagen sollen“ → „die Person ist ein Arschloch. Gut, dass du für dich, nicht für die Person, aufgestanden bist.“
„weil ich dick/Schwarz/neurodivers bin interessiert sich sicher keiner für dich“ → „Menschen die dick/Schwarz/Neurodivers sind sind attraktive Menschen zu denen ich mich hingezogen fühle. Ich bin sicher nicht die*der einzige. Viele Menschen mögen mich, schade das die Gesellschaft so wirkmächtig ist, dass ich das ignoriere.“
„wenn ich erstmal dünn bin mach ich..“ → „Schade, das in dieser Gesellschaft Aktivitäten an Körper gebunden sind. Wie kreiere ich ein Raum in dem ich sicherER diesdasjenes tun kann mit dem Körper den ich habe?“
„Vielleicht sollte ich weniger radikal sein“ → „Choose your battles, aber für sich das Recht erlangen zu wollen nicht dehumanisiert zu werden ist nicht radikal. Es ist überleben. Überleben ist ein Grundbedürfnis ein Instinkt..“
08.07.2015 Update: Tollerweise haben Leute mir anonym geschrieben, was sie bewegt. Danke dafür!
Hier weitere spannende Sätze von anonymen Einsendungen:
Wenn ich nicht [(chronische) Krankheit xy ] hätte, dann wäre ich sportlicher und könnte leichter abnehmen.→ Schade, dass es in unserer Gesellschaft immernoch leichter ist, für diejenigen ist, die XS tragen. Und auch mit (chronischen) Krankheiten und/oder Behinderungen lässt sich Sport treiben. Sport muss nicht immer gleichbedeutend sein mit „Wettbewerb“
Wenn ich mich selbst mehr lieben/akzeptieren würde, fänden mich andere Menschen interessanter. → Ich lebe in einer Gesellschaft, in der Menschen wie ich [eigene Positionierung einfügen] nicht einmal als liebenswert dargestellt werden. Selbstliebe wurde mir nie beigebracht, woher also soll es kommen?
Sei nicht so streng zu dir selbst! → Leistungsdruck zu verlernen dauert. Give it time.
Eine Antwort zu „Decolonize… my Mind“
sehr richtig